Die Geschäftsführer Alexander Syllaba und Clemens Kopetzky sowie Projektleiter Christoph Wagner über die Erfolgsgeschichte des Cinema Paradiso am St. Pöltner Rathausplatz.  |  Timna Rosenthaler, Daniela Matejschek

Cinema Paradiso: „Kino ist ein Ort, wo geträumt wird“ Über die 20-jährige Geschichte des Cinema Paradiso, den Aufwand für ein Programmkino, Filme unter freiem Himmel und ihre Zukunftspläne sprechen die Geschäftsführer Alexander Syllaba und Clemens Kopetzky sowie der Projektleiter Christoph Wagner.

Welche Bilanz ziehen Sie aus den ersten 20 Jahren Cinema Paradiso in St. Pölten?

Alexander Syllaba: Es lohnt sich, seine Träume zu leben! Wenige haben der Idee eines Programmkinos am damals recht leeren Rathausplatz eine Chance gegeben. Aber es hat funktioniert und übertrifft bis heute alle Erwartungen. Und auch im Sommer, in einer Zeit, in der Programmkinos in anderen Hauptstädten schließen und sich Innenstädte leeren, bringen wir mit unserem Open Air Kino am Rathausplatz und den vielen Schanigärten der bunten Lokalszene Urlaubsstimmung in die Stadt. Der Rathausplatz ist heute ein lebendiges Zentrum St. Pöltens.

Was hat Sie zum besten Kino Europas gemacht?

Syllaba: Das war 2006, als wir in Paris von den Kinolegenden Costa Gavras und Jeanne Moreau diese Auszeichnung entgegennehmen durften. Die EU-Organisation „Europa Cinemas“ vergibt diesen Preis und hat damals unter 479 Kinos aus 264 Städten und 29 Ländern unser Programm zum besten gekürt. Besonders gewürdigt wurde unser Kinder- und Jugendprogramm. Mit unserem Konzept „Mehr als Kino“ und einer breiten Zielgruppenarbeit zeigen wir, wie Kino im 21. Jahrhundert funktioniert. Als kulturelle Drehscheibe der Region, wo sich alle Generationen treffen, austauschen und wohlfühlen. Film, Premieren, Musik, Literatur, Gespräche, DJs, gastronomischer Genuss – das alles finden die Menschen bei uns. Übrigens: Mit Jeanne Moreau bei der Preisverleihung Händchen halten passiert einmal im Leben!

Was bringt die Leute in Zeiten von Netflix und Co ins Cinema Paradiso?

Clemens Kopetzky: Streaming ist für uns kein so großes Thema, wie man glauben mag. Daheim auf der Couch vor dem Fernseher ist etwas ganz anderes, als hinauszugehen und sich bewusst für einen Kulturbesuch zu entscheiden, fortzugehen, mit Freunden Zeit zu verbringen. Kino ist einzigartig: Menschen kommen zur selben Zeit an denselben Ort, um sich in einem finsteren Saal genau diesen Film anzusehen. Sie tauchen gemeinsam ein in eine fremde Welt, vergessen den Alltag. Sie lachen gemeinsam, sie weinen gemeinsam. Kino spinnt ein unsichtbares Band zwischen den Menschen. Das ist wunderschön. Aber natürlich muss man sich heute mehr denn je um das Publikum bemühen. Es ist ein Geschenk, wenn sich Menschen dafür entscheiden, einige Stunden ihrer freien Zeit in unserem Cinema Paradiso zu verbringen. Und wer doch die Couch bevorzugt, kann auf unserer Webseite des VOD-Clubs feine Kino-Filme ansehen und im Gegensatz zu den amerikanischen Streamern geht ein Teil dieses VOD-Tickets an das jeweilige Lieblingskino. Mehr als 60 Kinos machen österreichweit mit. Eine Initiative, die von Cinema Paradiso erfunden wurde und aus St. Pölten kommt!

Wie ist das Cinema durch die Pandemie gekommen?

Christoph Wagner: Es war eine verrückte Zeit. Zwangsschließungen und ständig wechselnde Einschränkungen haben in Atem gehalten. Was aber schön und motivierend war: Mit jeder Öffnung sind die Menschen mit Begeisterung zurückgekehrt. Viele haben sich persönlich bei uns bedankt, dass wir wieder Kultur ermöglichen. An der Stelle ein großes Danke an unsere fantastischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie sind mit uns durch dick und dünn gegangen und haben das Schiff auf Kurs gehalten.

Wie wollen Sie das Projekt langfristig absichern?

Syllaba: Ein vielfältiges und hochwertiges Programm in einer familiären, unkomplizierten Atmosphäre für alle Generationen und sozialen Schichten – das wollen wir auch in Zukunft bieten. Wenn die Menschen weiterhin so zahlreich unser Angebot nutzen, dann gelingt es automatisch, unsere treuen Partner aus der Wirtschaft und die Fördergeber zu überzeugen, dass sich Investitionen in die Kultur lohnen. Es geht um viel mehr als Zahlen. Aber trotzdem sei es erwähnt: Eine Kinostudie für Niederösterreich kommt zum Ergebnis, dass mit jedem Kinoticket weit mehr als 15 Euro außerhalb des Kinos ausgegeben werden. Und wir haben über 75.000 Besucherinnen und Besucher pro Jahr.

Was muss man in ein zeitgemäßes Kino investieren?

Wagner: Viele Jahrzehnte ist in unserem Kino ein 35-mm-Projektor gelaufen. Man konnte Probleme noch mit einem Schraubenzieher beheben. Heute muss man in kurzen Abständen enorme Investitionen tätigen, um am Stand der digitalen Technik zu bleiben. Dazu kommen noch Lüftungsanlagen, Kinositze, Veranstaltungstechnik. Die Qualität in allen Bereichen hochzuhalten ist unerlässlich.

Wird es wieder Kino am Dom geben oder bleibt Open Air eine Geschichte für den Rathausplatz St. Pölten?

Syllaba: Es hat immer beides gegeben. An vier Tagen Film am Dom als ausgelassenes Filmfest bei freiem Eintritt. Und das Open Air Kino am Rathausplatz im Sommer mit 60 Tagen Programm und einer Mischung aus aktuellen Kinofilmen und Live-Veranstaltungen. Es ist ein vierter Kinosaal unter dem Sternenhimmel, der essenziell für das Cinema Paradiso und die Belebung der Innenstadt ist und der nur durch die Infrastruktur des Kinostandortes funktioniert. So kommen Menschen auch im Hochsommer nach St. Pölten. Wir hoffen, dass Film am Dom nach der Neugestaltung des Platzes zurückkehrt und es dann wieder beides gibt. 2024 ist St. Pölten Kulturhauptstadt. Das wäre ein schöner Anlass.

Wie wird sich St. Pölten rund um das Cinema weiterentwickeln?

Wagner: St. Pölten profitiert enorm von der schnellen Bahnanbindung nach Wien. Mit Blick auf die rege Bautätigkeit hoffen wir, dass St. Pölten gesund und ökologisch verträglich wächst und eine lebenswerte Stadt bleibt. Für enorm wichtig halten wir die Anbindung der Stadt an das Umland. Die Innenstadt braucht die Menschen aus einem weiteren Einzugsgebiet.

Seit neun Jahren sind Sie auch in Baden mit dem Cinema Paradiso. Wie läuft es dort?

Syllaba: Cinema Paradiso Baden ist ein absoluter Glücksfall. Für die Stadt, die Region und für uns! Eine besondere Erfolgsstory. Dem alten Kinostandort in der Beethovengasse drohte der Verfall. Das Haus war fast 100 Jahre lang ein Kino, dann wurde zugesperrt. Das war auch ein Schlag für die Innenstadt. Viele Menschen wollten ihr Kino weiter haben. Die Badener Politik wurde gemeinsam mit dem Landeshauptmann aktiv. So wurden wir gefragt, ob wir mit unserer erfolgreichen Mischung aus Kino und Live-Veranstaltungen auch in Baden ein Cinema Paradiso etablieren wollen. Wir haben uns sofort in das Haus verliebt, das Kinogeschichte atmet, mit großem Kronleuchter im Foyer und Theateratmosphäre in den Kinosälen. Generationen von Badenern und Badenerinnen haben hier Kinogehen gelernt! Ende 2013 erstrahlte das Haus mit unseren Investitionen in neuem Glanz. Und die Badenerinnen und Badener haben ihr Cinema Paradiso vom ersten Tag an gestürmt. Wir hören seither immer wieder: „Danke, endlich müssen wir nicht mehr nach Wien fahren!“ Unser Konzept „Mehr als Kino“ läuft also in Baden ebenso hervorragend wie in St. Pölten. Wir freuen uns schon auf die Zehnjahresfeier 2023!

Welche Zukunftspläne haben Sie für das Cinema Paradiso?

Kopetzky: Es ist in den 20 Jahren ungemein viel passiert, mit dem wir nie gerechnet hätten. Vor zwölf Jahren haben wir den Saal 3 und Club 3 eröffnet, vor neun Jahren unser Cinema Paradiso Baden, das genauso großartig angenommen wird. Wir lassen uns überraschen!

Was wünschen Sie sich für die nächsten 20 Jahre Cinema Paradiso?

Syllaba: Wir sind überzeugt, dass Kino nicht nur relevant bleibt, sondern noch an Bedeutung gewinnen wird als gemeinschaftlicher Ort der Sinnstiftung, als leistbares Kulturvergnügen. Unsere Wünsche sind daher einfach und das, was wir uns alle wünschen: Frieden, ein Ende der Pandemie, und zwar wirklich, ein Ende der Preissteigerungen. Selbst wenn diese Wünsche nicht in Erfüllung gehen: Das Kino ist der Ort, wo all das verhandelt wird, wo geträumt und um die Welt gereist wird und wo man sich eine Auszeit von den Sorgen nehmen kann.