"Große Ungewissheit": Erstes Kind in der Pandemie

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Familienbesuche, Mama-Gruppen, Baby-Treffs – die Anfangszeit mit einem Neugeborenen ist ein großes soziales Event. Corona hat das geändert. Eltern, die zum ersten Mal ein Kind bekommen, stellt das vor Herausforderungen. Es gibt aber auch positive Seiten.   

Es ist bereits nach 20 Uhr und damit gelten die Ausgangsbeschränkungen. Dem sechs Monate alten Leo ist das herzlich egal. Er schlummert friedlich in seinem Bettchen, die kleinen Fäuste geballt. Er ist allerdings nur auf dem Bildschirm eines Babyphons zu sehen, das die jungen Eltern lächelnd von ihrem Wohnzimmer im niederösterreichischen Zillingdorf in die Laptop-Kamera zeigen. Ein persönliches Interview kann Leo im Lockdown light leider nicht geben.

In Niederösterreich gibt es im Jahr laut Statistik Austria rund 15.000 Geburten, heuer fallen diese jedoch unter einen sehr speziellen Stern. Ausgerechnet am Beginn des ersten Lockdowns im März beginnt für Theresa der Mutterschutz. Leo ist ihr erstes Kind, für das Paar ist alles neu. „Ich habe mir das immer so vorgestellt, dass ich mit Babybauch durch die Stadt schlendere und in den Geschäften ganz unbeschwert noch die Dinge besorge, die ich brauche.

Aber das ging ja alles nicht“, meint Theresa ein wenig wehmütig. Für die 25-jährige Volksschullehrerin war diese Zeit psychisch sehr belastend. „Ich war hochschwanger und konnte den ganzen Tag niemanden sehen, weder meine Eltern noch Freundinnen, bis Tim am Abend aus dem Krankenhaus gekommen ist.“ Als Radiologietechnologe Homeoffice machen? Schwer möglich für ihren Mann. Um den fehlenden sozialen Kontakt irgendwie auszugleichen, telefoniert sie zu der Zeit viel, mit ihrer Mutter und ihrer besten Freundin. Ein schwacher Trost für den fehlenden persönlichen Austausch. Aber besser als nichts.

Unmöglich ohne Papamonat

Je näher der Geburtstermin kommt, desto schlimmer wird für die werdenden Eltern die Ungewissheit. Der Geburtsvorbereitungskurs muss abgesagt werden und Theresa wird sich ohne Vorab-Anleitung auf ihren Körper verlassen. Ob Tim überhaupt bei der Geburt dabei sein kann, ist bis zuletzt unsicher, weil sich die Regeln ständig ändern. Er campt schließlich im Auto vor dem Krankenhaus. „Ich durfte dann zwar im Kreißsaal sein, aber danach nicht dortbleiben“, sagt Tim. Noch am Tag der Geburt kommt seine Frau deswegen mit Leo nach Hause.

Sind es bei vielen anderen die Jüngeren, die für die Älteren Besorgungen machen, ist es hier genau umgekehrt. In der ersten Zeit kochen die Eltern von Tim und Theresa, gehen für sie einkaufen und stellen ihnen die Sachen vor die Tür. Und auch ohne den Papamonat wäre vieles schwieriger gewesen, sind sich die beiden einig.

„Theresa sollte ja in der ersten Zeit im Bett bleiben und wenn ich in der Arbeit gewesen wäre, hätten Freunde oder Familie kommen müssen und wir sollten ja Kontakte vermeiden.“ Der einzige persönliche Kontakt in der ersten Zeit ist die Hebamme. Zur Nachbetreuung fahren sie mit Leo regelmäßig zu ihr – mit Abstand, Maske und Desinfektionsmittel. Ansonsten sehen sie niemanden und niemand sieht sie. Familienfeiern und Treffen mit Freunden fallen aus, zum „Babyschauen“ kann am Anfang niemand kommen. Die Zeit rund um den Lockdown hatte für die frischgebackene Familie aber auch etwas Gutes.

Zeit zum Entschleunigen

„Der eine Monat nach der Geburt, in dem ich auch zuhause war, hat alles schon sehr entschleunigt“, erzählt Tim. „Durch die Corona-Situation war auch der Druck für uns weg, jetzt rauszugehen und etwas zu unternehmen, oder ständig anderen Leuten unser Kind vorzustellen. Wir waren schon ganz dankbar für die Zeit zu dritt. Ich glaube aber, dass man in dieser Zeit auch ohne Corona in einer Art Babyblase wäre.“ Besuch kommt dann aber doch, später und mit Abstand. Von der Schlafzimmertür aus leiden die Großeltern, die den neuen Enkelsohn nicht halten dürfen, schon ein wenig, das Verständnis ist aber da. Eine Ansteckung will keiner riskieren.

Auch Theresas beste Freundin hat ein Kind bekommen. Sie sehen sich im Sommer nur zwei Mal und schicken sich Fotos und Videos, um an der Entwicklung ihrer Kinder teilnehmen zu können.  Zwei weitere Freundinnen sind schwanger. Die monatlichen Treffen müssen ausfallen, eine WhatsApp-Gruppe muss für den Austausch herhalten. Ihre Freundinnen vermisst Theresa stark. Auch sämtliche Aktivitäten wie Babyturnen, oder -schwimmen und Kontakte zu fremden Müttern würden Theresa reizen. Auch mit gleichaltrigen Kindern hatte Leo bisher wenig Kontakt. Sicherheit geht für sie aber vor. „Ich habe durch meinen Beruf viele kreative Möglichkeiten, um den Tag über viele Reize für ihn zu setzen“, sagt sie. „Und man kann ja auch nicht vermissen, was man nicht kennt. Wer weiß, vielleicht mögen wir Babyschwimmen ja auch gar nicht.“

Zurück zum Urvertrauen

Die Mund-Nasen-Schutz-Masken seiner Eltern mag Leo jedenfalls nicht besonders. „Gefühlsmäßig würde ich sagen, es macht Leo nichts aus, wenn wir die Maske aufhaben. Er schaut uns aber komisch an, oder zieht an den Bändern, wenn ich ihn beim Einkaufen auf dem Arm habe“, schmunzelt Theresa. Manchmal nimmt sie die Maske kurz runter, wenn sie in den Kinderwagen schaut, um ihm schnell zuzulächeln und ihm damit zu zeigen, dass alles in Ordnung ist.

Noch etwas anderes können Tim und Theresa der schwierigen Lage abgewinnen. „Ich glaube diese Zeit jetzt führt auch dazu, dass wir unserem Instinkt mehr vertrauen. Wir versuchen gemeinsam Lösungen zu finden, wenn es ein Problem gibt und sind nicht gleich überfordert“, sagt Theresa. „Wir gehen davon aus, dass wieder eine Normalität kommt. Man darf nicht alles zerdenken und nicht zu ängstlich sein. Für jetzt müssen wir unsere Bedürfnisse zurückstellen, weil wir Verantwortung haben, als Eltern, anderen und uns selbst gegenüber.“ Sie sind froh und dankbar, dass sie sich gegenseitig haben, finanziell abgesichert sind und ein gutes soziales Netz haben, denn ihnen ist sehr bewusst, dass das für junge Eltern in diesen Zeiten keine Selbstverständlichkeit ist.

Das Bild am Computerbildschirm ruckelt ein wenig, die Verbindung stockt kurz. Die beiden winken noch einmal, dann legen sie auf.