Calexico-Frontmann Joey Burns: „Grenzen trennen nicht“
BVZ: Joey, willkommen in Bildein, dem Dorf ohne Grenzen. Von hier sind es nur ein paar hundert Meter bis nach Ungarn. Auch dein Heimatort Tucson ist nur unweit von einer Grenze zu einem anderen Land, nämlich Mexiko, entfernt. Mauern und Grenzen sind heute weltweit mehr denn je ein Thema. Braucht die Menschheit überhaupt Grenzen?
Joey Burns: Man braucht nur zurück in die Geschichte zu blicken, beispielsweise nach Berlin, um zu erkennen, dass noch keine physische Grenze, keine Mauer, je gebraucht wurde oder Gutes hervorgebracht hat. Vor allem aber nicht die Grenzen zwischen Herzen. Wir leben alle auf einem Planeten und wir versuchen umgekehrt doch auch seit Menschengedenken Wege zu finden, um einander nahe zu sein. Sei es durch ein Gespräch, gemeinsame Interessen oder auch mit Hilfe der Musik.
Ist Musik dein Weg, um Grenzen zu überwinden?
Ja, ich denke schon. Es ist mein Weg, um andere Menschen, andere Länder, andere Kulturen zu erkunden. Ich hatte vorhin ein Gespräch mit einem Mitglied unserer Crew darüber, wie es ist, weit weg von zuhause zu sein. Wir haben doch alle dieselben Ängste, Wünsche und Hoffnungen. Aber wenn man über Ängste spricht, wenn man vor allem mit jenen spricht, die anders erscheinen, ein anderes Leben führen, so erkennt man am Ende, dass es im Leben nicht wirklich etwas gibt, was uns voneinander trennt. Sprich beispielsweise mit einer Flüchtlingsfamilie. Diese Eltern haben Kinder, meine Frau und ich haben Kinder, wir teilen im Grunde dieselben Probleme und Sorgen um unsere Kids. Wer fragt und vor allem, wer wirklich zuhört, wird immer einen Weg zueinander finden.
Wir haben übrigens etwas gemeinsam. Wir sind beide bereits aufgrund eines Vulkanausbruchs wortwörtlich festgesessen. Braucht es manchmal eine erzwungene Pause vom Leben, einen Stillstand?
Das Leben zeigt dir immer, wenn es an der Zeit ist einmal abzuschalten. Heute habe ich zwei Stunden lang mit einem Freund geredet. Über Gott und die Welt. Keiner hat in diesen Stunden auch nur einen einzigen Blick aufs Handy geworfen und plötzlich blickt mein Freund auf die Uhr und sagt „Oh mein Gott, es ist schon so spät, ich hab dir deine Zeit jetzt lange genug gestohlen.“ Und ich habe darauf geantwortet: Du hast mir meine Zeit nicht gestohlen, im Gegenteil. Wir haben uns einfach die Auszeit für ein gutes Gespräch genommen. Für die Dinge im Leben, die wirklich zählen, nämlich dich mit Menschen, die dir etwas bedeuten, zu verbinden.
Wie verschaffst du dir ganz bewusst Auszeiten?
Dein Körper lässt es dich wissen, wann es Zeit für ein Time-Out ist. So viele Menschen werden krank, weil sie nicht auf ihren Körper hören. Es gibt viele Wege, die uns zu einer Auszeit verhelfen. Du kannst meditieren, du kannst spazieren gehen oder du verlierst dich in einem wunderbaren Gespräch, wie in unserem gerade eben. Das sind wirklich großartige Fragen, die du mir stellst. Ich schätze das wirklich sehr! Und es ist wirklich schön, immer wieder zu erkennen, wie wir alle, alle Menschen auf der Erde miteinander verbunden sind - wenn wir offen füreinander sind. Und ich denke, dass ist einer der Gründe, warum ich Musik mache und so liebe. Musik erlaubt mir, mich mit mir selbst und der Welt im Großen verbunden zu fühlen.
Hattest du auch schon einen Stillstand in deiner Karriere als Musiker?
Natürlich! Jeden Tag! Das sind wirklich gute Fragen, man stellt sie sich selbst zu wenig (lacht)
Wie überwindest du solche Stillstände?
Wir haben laufend Blockaden und Herausforderungen zu meistern. Oft kommt man an einen Punkt, wo man erkennt: Ich kann diesen Song jetzt nicht schreiben, oder ich bin nicht die beste Person für diesen Job. Das ist dann der Moment, um sich hinzusetzen und sich zu fragen: Warum nicht? Wir können so viel lernen, wenn wir uns selbst hinterfragen. Und auch, wenn wir andere fragen. Und ich tue das laufend. Ich hinterfrage mich selbst und mein Tun ständig. Aber ich bin überzeugt davon, wenn du Dinge aus den für dich richtigen Gründen tust, kann am Ende nichts Falsches dabei rauskommen. Musiker, Künstler, aber auch ein Biologe, ein Lehrer, ein Verkäufer ... ganz egal. Menschen, die etwas Universelles zu sagen haben, sind Trendsetter. Weil sie das, was sie tun und sagen nicht dafür machen, um Aufmerksamkeit zu bekommen, sondern weil sie Dinge tun, an die sie glauben. Und trotzdem straucheln wir. Alle. Immer wieder. Und stehen still. Es braucht den Stillstand, um innezuhalten, zu reflektieren, zu lernen und dann zu erkennen, wohin die Reise weitergehen sollen.
Euer neues Album „the thread that keeps us“ ist sehr politisch. Hat man als Musiker heutzutage eine besonders große Verantwortung?
Die größte Verantwortung hast du immer dir selbst gegenüber. Ehrlich zu dir selbst zu sein. Je ehrlicher du zu dir selbst und den Menschen in deinem Leben bist, umso ehrlicher sind deine Musik und dein Leben als Musiker. Ein Beispiel: Ich habe beschlossen, aus keinem Plastikbehälter mehr zu trinken. Das gilt auch für die Bühne. Wenn Calexico also eine Bühne betritt, soll man dort keine Plastikflaschen mehr sehen. Ich trinke aus meiner Glasflasche und wenn nur eine Person im Publikum Notiz davon nimmt und darüber nachdenkt, dasselbe zu tun, haben wir beide gewonnen. Ich bin kein Politiker, ich bin Künstler. Und Vater zweier Töchter. Ich trage Verantwortung. Meine Verantwortung ist vielleicht eine andere als die eines Politikers, aber dass ich mir der Verantwortungen in meinem Leben bewusst bin, darum geht es.
In einem Interview habe ich gelesen, dass du bereits einmal im Burgenland warst. Was ist dir davon in Erinnerung geblieben?
Dass das Burgenland rot ist. Also auf den Wein bezogen (lacht). Nicht viele Menschen in den USA kennen Weine aus dem Burgenland. Ich war damals in Oggau und habe die Gegend sehr genossen. Ebenso wie den Grünen Veltliner und den Blaufränkisch, ich liebe diesen Wein, er ist großartig! Ich freue mich schon auf paar gute Gläser davon, im Anschluss an das Konzert.